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Vagrant Story – allein den Namen solltet Ihr Euch auf der Zunge zergehen lassen. Das Game ist allererste Sahne. Zwar war ich anfangs skeptisch, denn das ultimative RPG aus dem Hause Squaresoft war für mich bisher Final Fantasy, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass der gleichen Firma ein weiterer Meilenstein im gleichen Genre gelingen könnte. Nun, ich habe mich gründlich geirrt.
Zur Story
Zu Beginn der Geschichte wohnt Ihr einer Sitzung der VRF bei, der Valentia Ritter des Friedens, während der retrospektiv die aktuelle Situation dargelegt wird:
Unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit besetzte die militante Mellenkamp-Sekte unter der Führung eines gewissen Sydney Losstarot das Anwesen des Fürsten Bardorba, einem einflussreichen Mitglied des Magistrats des Valentia Königreiches. Sie forderte die Freilassung ihrer durch die VRF inhaftierten Mitglieder – und den Rücktritt des Papstes. Bis zur Erfüllung ihrer Bedingungen sollten alle Angehörigen und Bediensteten des Fürsten als Geiseln gelten. Der Fürst, der sich zu diesem Zeitpunkt nicht auf seinem Anwesen befand, sandte daraufhin eigenmächtig die „Ritter des heiligen Ordens“ aus, eine direkt der Kirche unterstellte Gruppierung, um die Geiselnahme zu beenden. Und auch die VRF schickte zwei Agenten zum Ort des Geschehens: den Riskbreaker Ashley Lionet und die junge Agentin Callo Melrose. Ihr Auftrag lautete, das Anwesen zu beobachten und gegebenenfalls einzugreifen, falls die Situation zu eskalieren drohte. Und das tat sie: Als die Mellenkamp-Sekte begann, die Geiseln zu ermorden, und die Ritter des Heiligen Ordens das Herrenhaus in Brand steckten, schlich sich Ashley Lionet ins Innere des Herrenhauses, um der Situation Herr zu werden. Dort traf er auf den Sektenfüher Sydney und erkannte, dass dieser über enorme magische Kräfte verfügte. Nicht einmal ein Pfeil aus Ashleys Armbrust mitten durch sein Herz konnte ihn aufhalten! Als Ashley sich gegen einen riesigen Drachen zur Wehr setzen musste, entkam Sidney durch ein geöffnetes Fenster …
Eine Woche später wurde Fürst Bardorba ermordet. Als Täter benennen die Ritter des Heiligen Ordens den Riskbreaker Ashley.
Eure Aufgabe ist es nun, die Woche zwischen dem Vorfall auf dem Anwesen des Fürsten und dem angeblichen Meuchelmord zu erleben. Schlüpft in die Rolle von Ashley Lionet und bringt die Wahrheit ans Tageslicht. Begleitet ihn auf seiner Reise in die versunkene Stadt Le Monde und helft ihm, seinen Ruf wiederherzustellen und den Sektenführer Sydney zu finden.
Das Spiel
Vagrant Story spielt in Ivalice, der Welt, die wir bereits aus Final Fantasy Tactics kennen, doch in Vagrant Story lernen wir sie von einer deutlich düstereren Seite kennen. Nach einem kurzen, aber eindrucksvollen Intro in Render-Optik, untermalt von mitreißender, orientalisch anmutender Musik, könnt Ihr entweder die Einführung in die Story miterleben oder direkt ins Spiel einsteigen. Einige Abschnitte des Rückblickes erlebt Ihr bei Spielbeginn erneut. Erst nachdem Ashley den Drachen bezwungen hat, geht es so richtig los. Ihr schlagt Euch anfangs durch ein unterirdisches Labyrinth aus vielen, vielen Räumen und Gängen, in denen erst kleine Gegner wie Fledermäuse, Wölfe oder einige Mellenkamp-Soldaten, später aber auch echte Herausforderungen wie Geister, Skelettkrieger, Drachen und andere Fabelwesen auf Euch lauern. Le Monde ist in verschiedene Ebenen unterteilt. Ihr beginnt Eure Suche in einem alten Weinkeller, gelangt dann in die Katakomben und durchquert einzelne Stadtteile bis Eure Suche schließlich in der 31. Ebene, der Kathedrale der Stadt, endet.
Ihr steuert den Helden freibeweglich in bester Tomb-Raider-Manier durch die einzelnen, dreidimensionalen Räume, bekämpft Gegner, öffnet Schatztruhen, in denen Ihr neue Waffen, Rüstungen oder auch Heilkräuter und Zauber finden könnt, weicht etwaigen Fallen aus und sucht nach allen verfügbaren Ausgängen. Hier und da müssen auch einige Kistenrätsel gelöst werden, um den nächsten Raum zu erreichen. Ihr solltet die Speicherpunkte, die nicht gerade reichlich zu finden sind, immer nutzen, denn hinter jeder Tür könnte schon der Endgegner der Ebene auf Euch warten. Eine kleine Karte im rechten unteren Bildschirmabschnitt zeigt Euch den Aufbau des Raumes, in dem Ihr Euch befindet und gibt an, wo die verfügbaren Türen zu suchen sind, aber lasst Euch mit der Suche nicht zuviel Zeit – jede Sekunde zählt!
Wann immer Ihr einen neuen Raum betretet, kann es passieren das Ihr Euch in phantastischen Zwischensequenzen wiederfindet, die Euch Teile aus Ashleys Vergangenheit preisgeben, ihm Halluzinationen vorspielen oder wichtige aktuelle Ereignisse, wie das erneute Zusammentreffen mit Sydney zeigen. Diese Sequenzen sind zwar keine aufwendigen Rendergrafiken, aber allein wegen der Geschichte beinahe kinoreif. Die Figuren bewegen sich flüssig, die komplexe und anfangs etwas verwirrende Handlung wird nach und nach durchschaubarer, und alles wird von atmosphärischer Musik unterstrichen.
Klassische RPG-Fans könnte das komplexe Kampfsystem erstmal erschlagen, da die Kämpfe in Echtzeit stattfinden und die Nutzung starker Komboangiffe erfordern. Das Spielgeschehen stoppt zwar, sobald Ihr die Aktionstaste drückt, doch die Aktionsmöglichkeiten sind schier endlos: Um Ashley herum erscheint eine grüne Kugel, die seinen Angriffsradius angibt. Befindet sich innerhalb dieses Raumes ein Ziel, also ein Gegner oder auch eine Kiste, gibt ein kleines Kästchen an, an welchem Körperteil Ihr diesen treffen könnt, wie hoch der Trefferrate ist und wie viele Schadenspunkte Ihr Eurem Gegenüber abziehen könnt. Sobald Eure Aktion gewählt habt, läuft die Zeit bis zum nächsten Angriff weiter. Aber Vorsicht! Auch Euer Gegner ist irgendwann am Zug [das erkennt Ihr daran wenn dieser Rot aufleuchtet und über seinem Kopf ein Ausrufezeichen erscheint].
Sobald Ihr angegriffen werdet, könnt Ihr nicht mehr agieren. Verfügt Ihr jedoch über die richtigen „Chain-Abilitys“, offensive oder defensive Techniken, die Ihr nach und nach erlernt, seid Ihr in der Lage, Euch zu verteidigen. Ihr könnt je drei offensive und drei defensive Techniken ausrüsten, die Euch im Kampf zur Verfügung stehen. Timing ist dabei alles. Werdet Ihr angegriffen, erscheint für einen kurzen Moment ein Ausrufezeichen über Eurem Kopf. Schafft Ihr es, im richtigen Moment die Taste für einen Konter-Move zu drücken, wird der Befehl ausgeführt und Ashley nimmt zum Beispiel weniger Schaden.
Das Gleiche gilt auch für den Angriff. Wollt Ihr jemanden attackieren, habt Ziel und Körperteil ausgewählt und drückt die Aktionstaste, dann erscheint auch hier für einen kurzen Moment das Ausrufezeichen. Passt den Moment richtig ab und betätigt mit einer weiteren „Angriffs-Chain-Ability“, dann schlägt Ashley erneut zu. Auch während dieser Technik erscheint wieder ein Fragezeichen und während der nächsten und der nächsten und … Auf diese Weise werden Eure Combos immer länger und stärker. Habt Ihr das Timing erstmal raus, könnt Ihr den Gegner mit schier endlosen Angriffsketten malträtieren, so das diesem kaum mehr Möglichkeiten, Euch Schaden zuzufügen.
Neben den Chain-Abilitys, von denen Ashley eigentlich nach jedem Endgegner neue lernt, kann unser Held auch verschiedene Tränke und Zaubersprüche verwenden, die er in den Schatzkisten der Dungeons findet, oder die ein Gegner hinterlässt. Die Zauber befinden sich auf Spruchrollen, sogenannten Grimoires, und sie verschwinden, wenn Ashley den Zauber benutzt.
Eine weitere Option sind die sogenannten „Break-Moves“, besondere Angriffe, die Ashley durch das Tragen bestimmter Waffen lernt. Die Break-Moves verwendet Ihr über das Menü. Sie sind nicht nur verdammt stark, sondern sehen auch gigantisch aus und werden meist von grandiosen Lichteffekten begleitet. Allerdings könnt Ihr dann keine Chain-Abilitys mehr verwenden, was in der Regel aber nicht weiter tragisch ist; die Break-Moves sind extrem stark. Setzt sie dennoch nur bedacht ein, denn sie erhöhen den Riskwert Eures Helden deutlich! Das Risk-Barometer im linken oberen Bildschirmrand erhöht sich mit jedem ausgeführten Angriff. Wenn nach einem anstrengenden Kampf der Riskwert zu hoch ist, sinkt nämlich Ashleys Konzentration und seine Trefferwahrscheinlichkeit lässt spürbar nach, was den nächsten Kampf entscheiden kann. Vergesst also nicht, Ashley auch mal ausruhen zu lassen.
Das klingt erstmal schrecklich kompliziert – doch die alle Techniken werden nach und nach eingeführt, so dass der Ihr Euch langsam herantasten könnt. Nichtsdestotrotz hat das Spiel einen hohen Schwierigkeitsgrad, der allerdings auch einen großen Teil des hohen Spaßfaktors ausmacht. Ihr werdet sicher viele Stunden damit verbringen, Eure Waffen zu modifizieren oder neue zu kreieren, um die perfekte Lösung für die nächsten starken Gegner zu finden. Wer Spaß am Knobeln und Tüfteln hat und wen Rückschläge nicht enmutigen, der ist hier genau richtig.
Und wenn Ihr Vagrant Story durchgespielt habt, könnt Ihr es direkt von Neuem starten – denn erst im zweiten Durchlauf lassen sich alle versteckten Türen öffnen und alle Schätze finden.
Optisch und akustisch liegt mit Vagrant Story ein weiteres Meisterwerk aus dem Hause Squaresoft vor uns, das mir persönlich sehr gefallen hat. Die Grafik ist ausgesprochen klar und die eingesetzten Lichteffekte sorgen immer für die richtige Stimmung. Die Sequenzen werden von gewohnt erstklassiger Musik begleitet, und während Ihr durch die Dungeons streift, hört Ihr das unheimliche Geheul der wilden Tiere, die in der Finsternis auf Euch lauern – eine wahnsinns Atmosphäre! Die Geschichte ist spannend, voller überraschender Wendungen und doch gradlinig und gut verständlich, so dass keine Fragen offenbleiben.
Was mir am Anfang einige Probleme bereitet hat, war das wirklich sehr komplexe Kampf- und Inventarsystem, das einen mit seinen vielen Optionen regelrecht zu erschlagen droht. Doch schneller als ich erwartet hatte, konnte ich mich daran gewöhnen, und werde es vermutlich bei kommenden Spielen vermissen, diese beinahe völlige Freiheit im Umgang mit dem Spielercharakter zu haben. Sei es nun frei zu entscheiden, wie ich welche Waffe zusammenbauen möchte oder welche spezielle Technik ich erlernen oder anwenden möchte – Vagrant Story ermöglicht jedem seine eigene Taktik und wird dabei niemals langweilig. Wenn Ihr Euch also das Warten auf Final Fantasy IX verkürzen wollt – mit Vagrant Story könnt Ihr nichts falsch machen.
Daten und Fakten
Hersteller: Squaresoft
Erstveröffentlichung: 2000
Spieler: 1
Plattform: Sony Playstation
Discs: 1